Ist das Christentum unwiederbringlich in Gefahr?

Johannes Spiess
4 min readMay 7, 2021

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Wie sich Kirchenaustritte und Konfessionswechsel auf die Religiosität auswirken

Für viele ist ein Kirchenaustritt eine endgültige Abkehr vom Konzept Kirche. Aber muss das so sein?

Das Nein des Vatikans zur Segnung homosexueller Partnerschaften im März diesen Jahres hat die Welt aufgewühlt. Besonders die Gefühls- und Lebensrealität vieler davon Betroffenen.
Aber auch allgemein hat diese, vom Vatikan noch einmal bekräftigte Haltung für Unmut gesorgt. Die „Zeit Online“ berichtete etwa, dass Nachfragen nach Terminen für Kirchenaustritte im März teils massiv zugenommen haben [1]. Selbige berichtete auch darüber, dass im ersten Corona-Pandemiejahr 2020 die evangelische Kirche zehn bis zwanzig Prozent weniger Austritte verbuchte, während die Kirchenaustritte aus der römisch-katholischen Kirche weiter stiegen [2].

Gründe für den höheren Mitgliederschwund der röm.-kath. Kirche liegen allgemein nicht nur an der schwindenden Religiosität der Bevölkerung, sondern anscheinend auch am Umgang der röm.-kath. Kirche mit ihren Missbrauchsskandalen, wie besonders zu vernehmen im Erzbistum Köln.

Wenn zu beobachten ist, dass nach solchen Vorfällen, sei es nun der Umgang mit Skandalen innerhalb einer Kirche oder die Klarstellung einer gewissen Haltung, die Mitgliederzahlen im zeitlichen Zusammenhang im Vergleich zu vorherigen statistischen Erfassungen stärker sinken, lässt sich feststellen, dass nicht die schwindende Religiosität in der Bevölkerung Grund für massive Kirchenaustritte ist, sondern die Kirche selbst.

Das ist eine vernichtende Entwicklung für den christlichen Glauben und seine Kirchen.
Das Verhalten einer Kirche führt damit zu einer weiteren Schwächung der Religiosität allgemein, in dem es in ihrer Glaubensgemeinschaft Anlass zu Kirchenaustritten gibt.

So gibt der Religionssoziologe Detlef Pollack im Interview mit der Würzburger „Tagespost“ zu bedenken:

„Die Vorstellung, dass die Menschen gleichsam konstant religiös bleiben, auch wenn sie sich nicht mehr am kirchlichen Leben beteiligen und vielleicht sogar aus der Kirche austreten, führt indes in die Irre.“ [3]

Daraus lässt sich durchaus schließen, dass für die Erhaltung der Religiosität und besonders für ihre Erstarkung die Kirche essentiell ist. Denn letzten Endes macht die Kirche ein konkretes Angebot zur Glaubensauslebung, gibt dadurch Struktur und eine gewisse Routine, ohne welche es in der heutigen, sich immer schneller wandelnden Zeit mit all ihren Anforderungen beinahe unmöglich scheint, Platz für die Glaubensauslebung zu finden.

Die logische Folge: Ohne kirchliche Zugehörigkeit verliert der Glaube an Bedeutung im Leben der Menschen und damit auch die Kirchen selbst. Betrachtet man jedoch die Diversität der Kirchenlandschaft, zum Beispiel andere katholische Konfessionen (insbesondere Alt-Katholisch), die evangelischen Kirchen oder die Freikirchen, so wird es fraglich, ob die Unzufriedenheit über die eigene Kirchenzugehörigkeit zwangsläufig zu einem endgültigen Kirchenaustritt und damit zu einem, wenn auch unbewussten Verfall der eigenen Religiosität führen muss.

Diese Entwicklung ist aber leider in der Bevölkerung die Regel. Statistiken und zuverlässige Zahlen über Konfessionswechsel in diesem Zusammenhang gibt es nicht, Zahlen über Neumitgliedschaften in diversen Kirchen im Vergleich zu Kirchenaustritten lassen keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Lediglich die Anzahl an Konfessionslosen steigt seit Jahren kontinuierlich ([4] Statistisches Bundesamt (2008), „Woran Glauben?“).

Die Vermutung liegt nah, wer sich für einen Kirchenaustritt aus Unzufriedenheit über die eigene Kirchenzugehörigkeit entscheidet, auch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kirchenlos bleibt.
Es macht den Anschein, als würde die Unzufriedenheit über die eigene Kirche auf das Kirchenkonzept allgemein übertragen, weshalb ein Kirchenaustritt auch zu einer Distanzierung von diesem Konzept führt.

Nun zu behaupten, dies lege an mangelnder Differenzierungsfähigkeit in der Bevölkerung, wäre ein Trugschluss. Klar ist, mit schwindender Religiosität geht auch das als bedeutungslos empfinden aller Kirchen einher. Aber wie schon dargestellt, ist nicht immer mangelnde Religiosität der Grund für einen Kirchenaustritt und damit für eine Abkehr vom Konzept der Kirche.
Es bedarf vielmehr Aufklärungsarbeit, um Kirchenalternativen aufzuzeigen und damit den Erhalt der Religiosität und letzten Endes die Zugehörigkeit zum Christentum zu fördern.

Denn Unzufriedenheit über die eigene Kirche lässt sich an bestimmten Dingen festmachen, sein es ihre Verhaltensweisen oder vertretenen Werte.
Wenn man nun die Diversität der Kirchenlandschaft aufzeigt, kann man auch Alternativen darstellen, welche eventuell besser zu den eigenen Vorstellungen von Kirche und Glaubensauslebung passen und nicht mit diesen im Widerspruch stehen.

Vor allem darf das damit einhergehende Thema des Konfessionswechsels keine Tabuisierung erfahren. Denn ein starker Glaube und damit eine starke Christenheit erwächst auch aus einem reinen Gewissen, welches aber nicht gegeben ist, wenn individuelle Wertvorstellungen mit kirchlichen Wertvorstellungen konkurrieren. Ist dem der Fall, muss dem Abhilfe geleistet werden, wobei der Konfessionswechsel natürlich nur ein Weg von vielen ist.

[4] https://www.bundestag.de/resource/blob/414012/29e32867663a03d15d37ce68fe263501/WD-1-232-08-pdf-data.pdf

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Johannes Spiess
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Written by Johannes Spiess

Student der Philosophie und Rechtswissenschaften. Instagram: johannes_spiess I Facebook: spiess.jojo